IV. Winter – Kristallzeit Im Licht der Stille
Noch schlummert die Melancholie des Herbstes in nebliger Trübheit.
Der Wind, der bitterkalte Winterwind scheuert die letzte Wärme aus
meinem Herzen. Die Bäume stehen wie Gerippe in der Landschaft,
der Atem wird kurz, der Blick klar.
Der erste Schnee fällt nicht lärmend, sondern wie ein Segen.
Alles wird still, gedeckt, reduziert. Ich sitze oft am Fenster, wenn es schneit.
Kein Ton. Kein Wind. Nur das sanfte Fallen – wie Gedanken, die sich endlich
setzen dürfen. Die Dunkelheit ist nicht mehr bedrohlich, sie ist Raum für
Klarheit geworden.
Ich beginne leiser zu leben und merke: Der Rückzug ist kein Rückfall, sondern
ein Schutzraum für das Wesentliche. In dieser Stille beginnt der Traum vom
Licht – nicht als Flucht, sondern als Versprechen.
In den beschlagenen Scherben meiner Seele glüht ein Funke, der den Frühling
schon kennt.
Tief in der Erde, verborgen in Wurzeln und Knospen, lebt die Ahnung vom Neuen. Noch ist es nicht sichtbar – aber spürbar.
Der Winter ist ehrlich.
Er hüllt nicht ein, er entblößt. Der Wind ist schneidend, der Frost unerbittlich. Und
doch liegt in dieser Klarheit eine Kraft, die befreit. Was bleibt, ist das Wesentliche. Die Linien. Die Stille.
Der Winter ist nicht das Ende. Er ist der leise Anfang. Ein erstes Wort – aus Licht.
© by AH.2025
„Im tiefsten Winter erkannte ich endlich,
dass in mir ein unbesiegbarer Sommer lebt.“
(Albert Camus)
Nachwort – Der Kreis und das Herz
Was vergeht, geht nicht verloren.
Der Frühling, der Sommer, der Herbst und der Winter – sie alle sind nicht nur
Zeiten, sondern innere Zustände. In ihnen lebt unser eigenes Wandeln: Hoffnung, Rausch, Reife, Rückzug.
Diese vier Essays bilden keinen geraden Weg – sie formen einen Kreis.
Und jeder Kreis beginnt immer wieder neu.
Vielleicht findest du dich manchmal im Licht des Sommers, manchmal im Frost des Winters. Vielleicht erkennst du,
dass beides zu dir gehört. Denn wer den Jahreszeiten lauscht, lernt nicht nur über die Natur – sondern über das Leben.
Und über sich selbst.